Oliver Dorfer and Martin Hochleitner; a conversation.

Martin: Vor genau fünf Jahren hast du im Rahmen des Ausstellungsprojektes „ONE-NIGHTSTAND“ in der Landesgalerie Linz einen für mich damals sehr überraschenden Beitrag realisiert. Als „Maler“ und „Zeichner“ hast du mittels Computer und Beamer nicht realisierte Bilder gezeigt. Kannst du dein Konzept aus heutiger Sicht nochmals kurz beschreiben?

Oliver: Ich war damals irgendwie gefangen in der Idee, dass es eigentlich so was geben müsste wie eine künstlerische Gegenwelt. Also so etwas wie ein Projekt, das alles umfasst oder einen großen Teil dessen umfasst, was in einer künstlerischen Produktion nicht verwirklicht wurde. Letztendlich ist ja das Arbeiten immer ein Akzeptieren oder Verwerfen, ein Anstemmen gegen einen Strom von Bildern, Ideen und Einflüssen. Viele Inputs zusammengenommen lassen ein Sammelsurium von Entwürfen entstehen, auch viele, die möglicherweise nicht oder nur wenig gelungen sind. Das ist klar, und da kommt die Technik ins Spiel. Da ein großer Teil der Arbeiten auf dem Computer zusammengestellt und gesampelt wird, ist der Arbeitsprozess – auch die weniger gelungenen Entwürfe – durchgehend dokumentiert und gespeichert. Die Idee war, ein Kompendium zu machen von Bildern, die Schwächen aufweisen. Ich habe das Projekt damals default-composit genannt, misslungene Verbindungen, und dieses Kompendium in einer Art Video-Projektion – was, wie du sagst, eigentlich für einen Maler, der sonst nicht mit Video arbeitet, relativ ungewöhnlich ist – präsentiert. 2009 war das, da haben wir dieses Projek gemeinsam gemacht, „ONE-NIGHT-STAND“, eine Präsentation von misslungenen oder auch weniger gelungenen Arbeiten an einem einzigen Abend.

Martin: Mir wurde damals bewusst, dass deine Bildideen nicht „bloß“ und im klassischen Sinn in einem malerischen bzw. zeichnerischen Akt auf einem Bildträger entstehen, sondern vielmehr in einem komplexen Prozess – als Bilder vor den Bildern. Auch unter Nutzung verschiedener Medien. Diese Konzeptionsphase scheint fast ebenso wichtig wie die eigentliche Bildformulierung zu sein. Wie kann ich mir diese einzelnen Phasen vorstellen?

Oliver: Die Konzeptionsphase besteht aus dem Zusammenfügen der bildgebenden Teile, aus dem sampeln, wie es in der Musik genannt wird. Man spielt etwas analog ein und sampelt es dann am Computer, mischt es also zu seiner richtigen Dichte, zu seinen richtigen Tonhöhen, im musikalischen Sinne, und ähnlich funktioniert es in meiner Arbeit auch. Ich sammle, skizziere und arbeite permanent an Dingen, die dann in den Computer eingespeist werden, gescannt werden, als Bild übernommen werden, und zur Endkomposition zusammengesetzt werden. Dieser konzeptionelle Vorprozess ist eigentlich der wichtigere Teil der Arbeit. Das Übersetzen des fertigen digitalen Bildes, dieses Analogisieren, also das Zurückklappen in die Wirklichkeit, in die Welt der realen Dinge als Bild ist dann eine völlig andere Art von Kreativprozess, weil ich dann als ‚humanizing factor‘ das Farbmischen, den Farbauftrag, den Mal- oder Schneidprozess umsetzen muss. Da passieren natürlich auch noch Dinge, Variationen in den Schichtdicken beim Farbauftrag, Pinselspuren, Fehler und so weiter, und das ist so gewollt, aber der konzeptionelle Teil, wie du vorhin gesagt hast, ist eigentlich der Gewichtigere.

Martin: Wir führen das Gespräch heute für eine Publikation, die deine Arbeiten der letzten sechs Jahre dokumentieren wird. Alleine die aktuellen Bilder vor uns kennzeichnet eine Fülle von sehr präzise gesetzten Zitaten und ineinander verwobenen Versatzstücken aus unterschiedlichen Kontexten. Mich interessiert, wie diese Zitate passieren bzw. welche Quellen für dich von Interesse sind.

Oliver: Die Quellen liegen zunehmend in Bereichen, die nicht im Kern der zeitgenössischen Kunstproduktion sondern eher an ihren Rändern angesiedelt sind: im weitesten Sinn im Grafikbereich, im Designbereich, auch im literarischen Bereich, im Bereich Theater oder Stagedesign, Comic, Graphic Novel, Streetart, Character-Culture der japanischen Jugendkultur. All diese Dinge, die im weitesten Sinn um den Kunstbereich kreisen, aber jetzt nicht direkt im künstlerischen Bereich angesiedelt sind, finde ich sehr spannend und geben mir eigentlich wesentlich stärkere Inspirationen, als wenn ich auf Arbeiten von Kollegen und Kolleginnen reagieren würde oder auf Zitate aus der Kunstgeschichte zurückgreifen würde, was natürlich auch vorkommen kann. So eine Ausnahme ist zum Beispiel eine der jüngsten Arbeiten, dystopia 2, die sich auf die Bildwelt eines Kollegen referenziert. Eine Person in dieser Arbeit ist eine Hommage an Arbeiten eines französischen Kollegen, Jean Charles Blais, den vielleicht der eine oder die andere gar nicht mehr so präsent hat, aber der auf mich als junger Mensch, als ich angefangen habe, im Bereich bildender Kunst zu arbeiten, einen sehr wesentlichen Einfluss hatte. Diese Form von ungelenkigem Riesen oder ungelenkiger Riesenfigur, völlig unproportional mit kleinem Kopf und großem Leib, das ist etwas, das in seiner Bildwelt sehr stark vorhanden ist, das ist so ein Zitat, um nur ein Beispiel zu nennen. Ein Zitat kommt aber eher selten vor, meist referenzieren sich die Dinge auf andere Bereiche. Ein Ausspruch hat mir vor vielen Jahren sehr gefallen, von dem Musiker Falco. In einem Interview gefragt, was ihn an Musik sonst noch interessiere, gibt er zur Antwort, eigentlich ist es nicht Musik, die ihn interessiert, weil er die selbst mache, sondern ihn würden verwandte Gebiete, wie zum Beispiel die Wiener Schule der Dichtung oder die Malerei wesentlich mehr inspirieren. Wenn man seine Arbeit kennt, weiß man, dass ihn die Wiener Schule der Dichtung besonders beeinflusst hat, weil die Wortspiele, die bei Falco so rap-artig daherkommen, natürlich in den Texten von Jandl und anderen entwickelt wurden. Diese lautmalerischen Gedichte haben ihn beeinflusst und hat er als Inspiration in seine Arbeitsmethodik, in diese spezielle Falco-Form des Wordrap, übernommen.

Martin: Sind für dich beim Zitieren formale oder inhaltliche Kriterien ausschlaggebend?

Oliver: Es muss beides zusammenkommen. Das Schwierige am konzeptionellen Prozess der Bildfindung ist, dass man die Möglichkeit schafft, sich auch selbst zu überraschen, dass man aus dem Fundus, den man für eine aktuelle Arbeit angelegt hat, auch wirklich jene Teile herausfiltert, die für die Komposition wie auch für den Inhalt stimmig sind. Das kann ein sehr langwieriger und mitunter auch sehr intuitiver Prozess sein. Es kann auch durchaus sein, dass Bereiche des Bildes, die Form betreffend, genau dadurch stimmig sind, dass sie den Inhalt sozusagen distorsieren, also verzerren und ihn somit auch teilweise wieder zurücknehmen in seiner Überdeutlichkeit. Es gibt tatsächlich auch Elemente in meinen Bildern, die bewusst weitgehend sinnentleert gehalten sind. Und obwohl diese Bildteile keine Aussage treffen, liegt ihr Sinn darin, dass andere Bildteile hervorgehoben werden können, sich Zentren bilden, Schwerpunktzentren, die sich herauskristallisieren können, weil andere Teile eher im Hintergrund verschwinden oder in Unordnung keine Information liefern.

Martin: Im Wissen um die Entstehung deiner Bilder scheinen sie mir immer auch einen „punktuellen“ Einblick in dein Archiv zu erlauben. Welche Bedeutung besitzt dieses Archiv in deinem bisherigen Werkverständnis?

Oliver: Die Bedeutung des Archivs ist in meiner Arbeit sicher eine große, weil all die graphischen Notizen, die tagtäglich passieren, all die Notationen, scribbles oder doodles, also diese Telefonzeichnungen, diese Kritzeleien sind immer ein Versuch, Formen und Inhalte zu erarbeiten, über eine sehr lange zeitliche Distanz zu bewahren und immer wieder auf ihre Gültigkeit zu überprüfen. Nicht immer bekommen diese Inhalte oder Formen sofort ihre Umsetzungen im aktuellen Arbeitsprozess, sondern sie werden archiviert. Genauso wie unsere Erinnerungsprozesse Dinge archivieren, bei denen meist gar nicht so sicher ist, ob sie jemals wieder Bedeutung erlangen werden. Diese Art des sich Erinnerns durch das Archiv und rund um das Archiv und mit Hilfe des Archivs ist ein wichtiger Aspekt, weil damit einerseits die Arbeit, so sehr sie sich auch verändert, einen Grundtakt findet. Es kommen Dinge sozusagen in kreisförmigen Bewegungen immer wieder, und das ist mir wichtig. Auch wenn sich die Materialen verändern und wenn sich teilweise die Technik verändert, muss es so etwas geben wie einen Zeitpfeil. Diese kreisförmigen Bewegungen, das heißt, die Art wie sich meine Arbeit über die Jahre entwickelt, dürfen nicht auf der Stelle kreisen, sondern sie müssen sich über einen Zeitpfeil, eine Zeitachse hinweg weiterentwickeln. Dieses bewusste Weitertreiben der eigenen Arbeit ist mir sehr wichtig, weil das Hirn grundsätzlich für die Wiedererkennung graphischer Elemente Belohnungsstoffe aussendet. Dieses Wiedererkennen und dieses Süchtigwerden auf Belohnungsstoffe würde aber auch in der Endkonsequenz bedeuten, dass man die Arbeit nicht weiterentwickelt, weil man sich selber ständig belohnt und dadurch wiederholt. Es ist zwar wichtig, dass immer wieder so etwas wie wiedererkennbare Bildmotive, die quasi meine Arbeit repräsentieren, vorkommen, so wie Regisseure auch gern immer wieder mit Schauspielern arbeiten, die sie als wichtig empfinden für ihre Arbeit und die ihre kreativen Intentionen unterstützen, aber es muss auch so etwas geben wie eine Vorwärtsbewegung über einen Zeitpfeil. Und da ist das Archiv sozusagen immer das ‚backbone‘, das Grundgerüst dieser Weiterentwicklung.

Martin: Die Erscheinungsform deiner Arbeiten wird maßgeblich von der spezifischen Technik bestimmt. Du arbeitest mit Acrylfarbe auf Acrylglas, und zwar in einem „klassischen Verfahren“, das an eine Hinterglasmalerei erinnert. In den letzten zehn Jahren ist oft von der malerischen Wirkung der Fotografie gesprochen worden. Als ich die ersten Bilder deiner aktuellen Werkgruppe gesehen habe, schienst du mir, genau umgekehrt, die fotografische Wirkung der Malerei zu verhandeln. Agierst du in deinem Selbstverständnis bewusst medienanalytisch, oder ist dieser Aspekt eher als Randbereich zu verstehen?

Oliver: Also der mediale Teil meiner Arbeit oder diese Reflexion des Medialen in meiner Arbeit ist wichtig, weil es, wie du selber schon gesagt hast, in meinen Bildern seit etwa 2008 diese Anmutung gibt, als sei es eigentlich eine fotografische Technik, die ich da verwende, als gäbe es so etwas wie einen Screen, einen Bildschirm, oder das Ganze könnte auch wie ein C-Print verarbeitet sein, und alles, was sich so an Farbauftrag und Haptik abspielt, spielt sich eigentlich hinter einem Screen, hinter diesem Acrylglas ab. Das ist genau der Punkt, warum ich eine Verbindung schaffen wollte zwischen sehr traditionellen Techniken, die im Bereich des Holzschnitts liegen sowie der Malerei mit Acrylfarben und Vinylfarben und dieser Anmutung einer Reproduktionstechnik. Zwingenderweise muss sich jeder, der in diesem Bereich arbeitet, die Frage stellen, was Malerei aufgrund ihrer langen Geschichte heute noch sein und leisten kann und welche Stärken sie immer noch behaupten kann, aber auch welche Inputs ihr zugutekommen können. Manche dieser bildbestimmenden Techniken, die ich in meine Arbeit einfließen lasse, sind den modernen Medien aufgrund laufender technischer Innovationen schon wieder abhanden gekommen. Zum Beispiel das Korn in der Fotografie oder im Film. Sehr viele Bildteile werden in meinen jüngsten Arbeiten aus sehr vielen kleinen Bildpunkten zusammengesetzt, die das reflektieren, was wir jetzt gar nicht mehr verwenden: die Körnung. Wir verwenden nahezu kein klassisches Film- oder Fotomaterial mehr, es spielt sich alles im digitalen Bereich ab. Dort kommt es uns als Pixel wieder entgegen. Diese Körnung, die in den Bildern eingeführt ist, die fast an einen Zeitungsraster erinnert oder an klassische Drucktechniken, ist Teil der Bildstruktur aber auch Teil der Frage nach den Möglichkeiten der Malerei. Die Bildinformation spielt sich hinter Glas ab und wird auch bewusst so verhandelt, weil es von unserer Empfindung her heute durch diese verstärkte Auseinandersetzung mit Bildschirmen/ Screens – sei es iPhone, iPad, seien es Monitore, sei es das Billboard, sei es das Fernsehen – eine Neupositionierung des Begriffs ‚Bild‘ gibt. Bild wird heute zunehmend als Synonym für bildgebendes Medium verstanden,
tatsächlich als Screen, und dies wird in meiner Arbeit auch genau so verhandelt.

Martin: Ich möchte noch kurz beim Aspekt des Mediums bleiben. Ich glaube, deine frühesten Arbeiten setzen in der zweiten Hälfte der 1980er Jahre ein. Damals bist du in der österreichischen Kunst zunächst sehr stark als Zeichner rezipiert worden. Nicht von ungefähr hast du in diesen Jahren auch den Römerquelle-Kunstwettbewerb, der sich sehr stark mit Zeichnung beschäftigte, gewonnen. Wie viel „Zeichnung“ steckt heute noch in deinen aktuellen Arbeiten bzw. ist sie für dich nach wie vor wichtig?

Oliver: Die Zeichnung ist immer da, die Zeichnung ist die Grundlage, die Zeichnung passiert auch ständig. Erstaunlicherweise ist es so, dass ich meistens die Zeichnung als etwas derartig Privates empfinde, dass ich sie oft gar nicht zeigen möchte. Das heißt, die Zeichnung ist ein beinahe tagebuchartiger Prozess, etwas Persönliches, das eigentlich bei mir bleiben sollte und gar nicht in den Ausstellungs- oder Verkaufsprozess gelangt. Die ganz kleinen Skizzen, die ständig passieren, sind Teil des Archivs, wie wir zuerst schon besprochen haben, und wichtiger eigentlich für das Archiv als für den Ausstellungsprozess selbst. Ich mache es aber manchmal doch, dass ich etwas davon ausstelle, einfach, damit die Leute auch sehen, dass der Werkprozess auf Myriaden von ständig sich ereignenden Zeichnungsprozessen fußt. Eine Umsetzung dieser Zeichnungsarbeit in einem druckgraphischen Projekt war zum Beispiel die zwanzigteilige Serie ’nordic print‘ aus dem Jahr 2009, und seither findet sich auch kaum ein Bild, in dem die Zeichnung, sei es als Vorskizze oder als eines der Hauptelemente in fertigen Bildern, nicht eine zentrale Stellung einnehmen würde.

Martin: Die Zeichnung bildet für mich in deinem Werk einen roten Faden seit den 1980er Jahren. Einen zweiten sehe ich im Phänomen, deine Bilder trotz der medialen Veränderungen immer als einen „Dorfer“ zu erkennen. Woran liegt das?

Oliver: Das hat sicher sehr stark mit der Ikonografie zu tun. Wenn ich auf frühe Arbeiten stoße, im Lager oder bei Sammlern oder jetzt vor Kurzem in einer Galerie in Köln, die Sachen aus dem Fundus geräumt hat, dann überrasche ich mich in der Hinsicht, dass ich sehe: manche Formen denke ich tatsächlich heute noch so wie damals. Ich würde es heute nicht mehr so umsetzen, weil das Denken im Laufe der Jahre komplexer wird oder komplizierter, oder weil man sich auch weniger scheut, Dinge zu machen, die den Belohnungsprozess des Hirns, über den wir vorhin gesprochen haben, nicht auslösen. Gewisse bildnerische Lösungen halten für mich heute genauso, wie sie 1989 oder danach gehalten haben. Und das ist eigentlich erstaunlich, weil ich angenommen habe, dass man in der Evolution des Arbeitens über so viele Jahre von manchem völlig ablässt. Ich glaube, das Geschick besteht darin, dass man eine Verbindung schaffen kann zwischen diesen beiden Teilen, also zwischen Geschichte, zwischen dem, was war und zwischen dem, was einen heute umtreibt in seinen Bildvorstellungen. Der frühe Dorfer, wie du es formulierst, hat jedenfalls in seinen Arbeiten poetische Aussagen getroffen, und nicht sozialphilosophische oder politische. Gerade durch mein Soziologiestudium hatte ich das Gefühl, komplexeren gesellschaftspolitischen Fragen nicht so einfach durch künstlerische Umsetzung gerecht werden zu können. Ich hab mich aus Respekt vor einer allzu komplexen Materie eher davon distanziert. Heute sehe ich das etwas offener, und so sind speziell seit 2008 auch Arbeiten entstanden, die meine Verwirrung über die politisch desaströsen Entwicklungen der letzten Jahre zumindest reflektieren. Die Bildserien wasteland, oceania und dystopia sind unter diesem Eindruck entstanden.

Martin: Du warst in den frühen 1990er Jahren länger in Kanada. Nach meiner Erinnerung hast du dort für dich die Carborundum-Drucktechniken entdeckt. Siehst du die Beschäftigung mit dieser Technik rückblickend als eine Form der Initialerfahrung, dich grundsätzlich mit Bildtechniken beschäftigen zu wollen? Auch bei den damals einsetzenden Plastiken scheinst du dich sehr intensiv mit Produktionsprozessen auseinandergesetzt zu haben.

Oliver: Die Technik des Carborundum-Drucks ist angeblich in Frankreich zu Beginn des vorigen Jahrhunderts entwickelt worden und ist durch die enge Verbindung zwischen Paris und Quebec, dem französischen Teil Kanadas, exportiert worden. Von den Künstlern und Künstlerinnen in Montreal im dortigen ‚Atelier Circulaire‘ wurde diese spezielle Art des Druckens genutzt, und ich bin 1993 bei einem Arbeitsaufenthalt von meinem kanadischen Galeristen Eric Devlin gebeten worden, mir diese Technik näher anzusehen. Diese Neugierde auf ungewöhnliche Materialien und Arbeitsweisen zieht sich wie ein roter Faden durch meine Arbeit. Es war immer der Versuch, Techniken zu entwickeln, die von der Leinwand wegführen. Ich war nie zufrieden mit dieser Schlabbrigkeit und dieser generellen Anwendbarkeit von Leinwand. Das war nicht das, was ich für mich gesucht habe, und ich brauchte – und brauche immer noch – einen Malgrund, der anders funktioniert als die Leinwand, der spröder ist, der schwieriger ist, der außergewöhnlicher ist, in dem Sinn, dass er meinen persönlichen Vorlieben eher entgegenkommt. So war die Entwicklung eigener Malutensilien, eigener Malgründe und Produktionsprozesse immer ein entscheidender Teil der künstlerischen Umsetzung in meiner Arbeit. Das waren in der Anfangszeit um 1989 Kohlestifte, die ich aus Pasten angerührt und getrocknet habe, und die dann wie große schwarze Zeichenkohle-Brocken in der Hand lagen. Mit diesen selbstgebastelten Malmaterialien sind die ersten Zeichnungen entstanden. Das war später dann der Gipsgrund als Bildträger, kompliziert und langwierig anzufertigen in der Produktion, sehr aufwendig und kräfteintensiv, und das waren in der Folgezeit die Kunststoffgründe, die auf Aluminiumrahmen aufgebracht worden sind, bei denen die technischen Anforderungen der Verbindung zwischen Aluminium und Kunststoff maßgebend waren. Technisch noch viel anspruchsvoller sind die aktuellen Arbeiten auf Acrylglas. Aber all dieser Aufwand war gerechtfertigt, weil ich das für mich als notwendig empfand, sowohl damals wie heute, dass es etwas geben muss wie eine Verbindung zwischen dem Material und demjenigen, der dieses Material additiv befüllt. Diese Verbindung kommt für mich dann zustande, wenn ich diese Arbeitsprozesse und diese Zeit auch in das Material investieren kann.
Das gilt im übrigen nicht nur für die Malgründe aus Gips, die an sich schon als Objekt daherkamen, sondern im besonderen für die Plastik, die ich in mehreren Gruppen als Bronzegüsse in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre umgesetzt habe. Heute denke ich Plastiken in anderen Materialien, speziell neue intelligente Kunststoffe haben es mir angetan. Man wird sehen…

Martin: Deine aktuellen Bilder bestehen trotz ihrer unterschiedlichen Größe immer aus fixen Modulen. Zuletzt hast du mit diesen eine besonders große Malerei für das neue Musiktheater in Linz ausgeführt. Du sprichst bei deiner Arbeit selbst vom Prozess der Bildentstehung, und alleine ein Blick in dein Atelier verrät, dass dieser Prozess sehr organisiert abläuft. Spielt das für dich
eine wichtige Rolle?

Oliver: Die organisierte Arbeitsweise entsteht daraus, dass die Arbeiten in dieser, wie du sie vorhin schon benannt hast, Hinterglastechnik seitenverkehrt ausgeführt werden. Die Malerei wird von hinten auf das Acrylglas aufgetragen, und daher braucht es einen vollkommen kontrollierten Prozess beim Malen selbst. Das Denken, das verkehrte Denken, ist schwer zu bewerkstelligen, das heißt, es muss so etwas geben wie klare Entscheidungen, die vorher getroffen wurden – bis ins Detail. Das ist also einerseits ein sehr organisierter, ein sehr kontrollierter Prozess. Andererseits sind auch die Prozesse, die Verbindungen schaffen zwischen Glas und Metall oder den jeweils verschiedenen composits, sehr organisierte Prozesse, die möglicherweise auch einen hohen Anteil an Drögem, wenn man so will, an Handwerklichem haben, aber das kommt meiner Art zu arbeiten sehr entgegen. Die Module, die du angesprochen hast, sind in wenigen genormten Formaten ausgeführt meist 1 mal 1 Meter-Teile, aus denen dann vielteilige Bilder zusammensetzt werden können, es können also 6-teilige, 8-teilige oder wie im Falle des Musiktheaters 18-teilige Arbeiten entstehen. Es ist einfacher im Handling, auch technisch einfacher, Bilder aus Teilen so zusammenzusetzen, sicherlich transporttechnisch einfacher, aber das sind nicht die eigentlichen Gründe für die Arbeit mit Modulen. Der Hauptgrund ist, dass es in der Zeit, in der ich mit Gips gearbeitet habe, immer so etwas gab wie eine natürliche Grenze im Format, die ungefähr bei meiner Armspanne lag. Also alles, was über 1,50 Meter hinausging, war erstens vom Gewicht und auch vom Handling nicht mehr zu bewältigen. Und irgendwann, 2006 so ungefähr, als ich dann mit Glasarbeiten begonnen habe, kam das Bedürfnis, auch sehr raumgreifende, ausladende Arbeiten ausführen zu können. Dass es tatsächlich möglich ist, hat sich bestätigt, nachdem ich den Auftrag gewonnen hatte, eine Arbeit für das Zentralfoyer des neu gebauten Musiktheaters zu verwirklichen. Es erfordert das sich Einlassen auf eine gewisse Belohnungsverzögerung, weil man sehr lange an einer Arbeit arbeitet, die man in ihrem gesamten Volumen erst vor Ort sehen kann, weil sie unmöglich im Atelier aufzuhängen ist. Aber der Arbeitsprozess selber ist ein völlig klarer, um wieder auf deine Frage zurückzukommen, völlig strukturiert, man muss also alle Anschlüsse überprüfen, man muss ständig gewahr sein, bei welchem Teil des Bildes man sich gerade befindet, weil man es eben nicht als Ganzes wahrnehmen kann. Ich hab sehr viel gelernt dabei und es war spannend zu sehen, ob diese Bildwelten, die man da im Kopf entwirft, ein Wachstum über eine gewisse Grenze hinaus vertragen. Ich arbeite gern in Bildgrößen von 2 mal 2 Meter, weil es sozusagen ein ‚verträgliches‘ Format ist. Aber manchmal erzwingt ein Motiv auch mehr Platz für sich, also gibt es jetzt bei der neuen Ausstellung im Herbst – zu der auch dieses Buch erscheint – wieder Bilder, die neunteilig sind, das heißt 3 mal 3 Meter. Es wäre auch eine schöne Idee, der Lust freien Lauf zu lassen und einfach anzubauen, also einem Bild noch einmal 3, 4, 5, 6 Meter hinzuzufügen und diesen Fokus, den das Bild ja immer für sich entwickelt, diesen Ausschnitt aus der Welt, den einfach noch einmal zu vergrößern und zu zeigen, was passiert eigentlich links und rechts von dem gewählten Ausschnitt der Welt?

Martin: Dein Atelier liegt knapp 300 Meter neben dem Ars Electronica Center, dem Museum der Zukunft. Du verwendest als „Maler“ ganz selbstverständlich Beamer, Computer und alle möglichen Programme, ohne vom klaren Bekenntnis zum klassischen Bild abzurücken. Mich interessiert, wie du den Stellenwert der Malerei siehst. Welche Bedeutung sie für dich in deinem Werk der letzten dreißig Jahren besitzt. Ist deine Arbeit auch ein Nachdenken über Malerei in all diesen medialen Kontexten? Oder ist sie auch ein Versuch, das viele Neue an Möglichkeiten wieder in die Malerei zurückzuführen? Wie siehst du deine eigene Arbeit in Begriffsfeldern der Gegenwartskunst?

Oliver: Das ist eine sehr schöne Frage, und du hast eigentlich die Antwort beinahe schon selbst gegeben, weil mich eben beide Fragestellungen umtreiben. So ist es ein ständiges Oszillieren zwischen diesen zwei Polen, einerseits eine Reflexion über Malerei, ihre Möglichkeiten, ihren Stellenwert. Es ist aber gleichzeitig natürlich auch ein Nützen dessen, dass Malerei tut, was mich schon im Film sehr beeindruckt hat, nämlich die Dinge trotz einer unendlichen Flut von Vorläufern immer und immer wieder neu zu verhandeln – spannend, im Film wie in der Malerei! Und auch im Film: wie jeder Regisseur immer wieder einen Versuch wagen muss, in einer Liebesszene, in der sich zwei Menschen begegnen und es zum ersten Kuss kommt, in wenigen Schnitten, Bildausschnitten, Kamerabewegungen mit seinen Stilmitteln eine glaubhafte, schlüssige ästhetische Umsetzung seiner Bildvorstellungen zu liefern. Je nachdem, ob er sozusagen ‚gut‘ ist und seine Energie hineinsteckt, wird das eine sehr berührende Szene, obwohl genau diese Szene schon hunderte, tausende Male erzählt wurde in der langen Geschichte des Kinos, und man geht nachher aus dem Saal und es quellen einem die benutzten Taschentücher aus dem Sakko. Oder es ist eben so, dass es kein Kunstwerk, kein gültiger Beitrag ist, dann tut es gar nichts mit Einem. Gerade in der Kunst, wenn sie Kernaussagen über das Leben treffen will, arbeiten Tradition und Innovation ja nur bedingt gegeneinander. Die Komplexität der Dinge, die wir heute erleben, ist ja nur eine scheinbare, wenn es um diese Kernfragen geht. Das Theater verhandelt sie immer wieder, die 5, 6, 7, 8 zentralen Dinge: Glaube, Liebe, Eros, Gewalt, Tod, Reproduktion. Der Film verhandelt diese Dinge, die Literatur und eben auch die Malerei, egal wie viel eigene Geschichte sie mit sich herumschleppt, wie oft etwas gefragt, hinterfragt oder scheinbar beantwortet wurde, die zentralen Parameter unseres Lebens verändern sich nicht. Und so halte ich die Malerei immer noch für eines der tauglichen Mittel diese Fragen zu verhandeln, wenn man es nur versucht. Diesen Versuch auf eine ästhetische Lösung zuzugehen und immer wieder hinzugehen und es trotzdem noch einmal zu versuchen, den finde ich spannend. Das auch mit der Unterstützung von neuen Medien zu machen, mit sehr heutigen und sehr zeitgenössischen Materialien und Mitteln, ist mir sehr wichtig, soll aber letztendlich nur eine unterstützende Funktion haben, um die ganze Sache auf den Punkt zu bringen.

Erschienen in der Publikation: Oliver Dorfer 08/14, Verlag für moderne Kunst, 2014